6 — Südtiroler Wirtschaft Nach wie vor ist der Gesundheitszustand der Südtiroler Bauwirtschaft bedenklich, sagt Thomas Außerhofer. Subventionsdrogen und Überreglementierungen hätten zur Krise beigetragen. Von der neuen Raumordnung wünscht sich Außerhofer klare Leitlinien, aber keine Detailverliebtheit. SWZ: Herr Außerhofer, sechs Jahre lang waren sie Präsident des Baukollegiums. Was fällt Ihnen spontan zu diesen sechs Jahren ein? Thomas Außerhofer: Die Bauwirtschaft durchlebt die schwierigste Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg. Gewissermaßen ist das paradox: Nach dem Krieg wurde in Infrastrukturen investiert, obwohl es kein Geld gab. Heute zirkuliert in Europa und auch in Südtirol ungleich viel mehr Geld, aber die Bauwirtschaft ist angeschlagen. Vielleicht liegt es daran, dass fast alles schon gebaut ist. Südtirol hat moderne Infrastrukturen, das stimmt. Aber es hat längst nicht alle Infrastrukturen, die es über die Gegenwart hinaus zu einem modernen Land machen. Ist es nicht vielmehr so, dass nach einem künstlich geschaffenen Bauboom am Anfang des Jahrtausends mit Tremonti-Förderung, Bettenstopp-Aufhebung im Tourismus und Bau von Umfahrungen sowie Tunnels zwangsläufig ein Einbruch folgen musste? Der Hauptgrund für die Baukrise in Südtirol war, dass wegen der Weltwirtschaftskrise das Vertrauen in die Zukunft abhandenkam. Der Bauboom der vorangegangenen Jahre hat die Krise natürlich verschärft, vor allem weil während des Baubooms wahrscheinlich falsch gebaut wurde. Südtiroler Wirtschaftszeitung — Nr. 19 | 15 — Freitag, 15. Mai 2015 Bauwirtschaft – Der scheidende Präsident des Baukollegiums über den Gesundheitszustand des Sektors und Wünsche an die Politik Leitplanken und basta den die Südtiroler mit großzügigen Förderungen dazu erzogen, eine Halle zu besitzen anstatt zu mieten. Wenn das Unternehmen dann wächst oder vielleicht auch kleiner wird, passt die Hallengröße nicht mehr zum Unternehmen. Gäbe es einen funktionierenden Mietmarkt, könnten Unternehmen problemlos von einer Miethalle in eine andere, passende Miethalle umziehen. Zweitens hat die Politik unter dem Vorwand des knappen Grundes jahrzehntelang bei der Ausweisung von Gewerbezonen gebremst. Wer dann endlich bauen durfte, hat möglichst großzügig gebaut, wissend, wie schwierig es ist, im Falle eines Wachstums einen neuen Grund zu bekommen. Daran zeigt sich, wie ungesund die Überreglementierung ist. Das müssen Sie erklären. Wahrscheinlich wurde bei öffentlichen Bauten zuweilen zu luxuriös gebaut – es wurde praktisch kein Unterschied zwischen architektonischen Vorzeigebauten wie etwa dem Museion, die wir ohne Zweifel brauchen, und Zweckbauten wie etwa eine Schule gemacht. Wahrscheinlich wurden auch bei privaten Bauten Fehler gemacht. Schauen Sie, wie viele Gewerbehallen in Südtirol leer stehen. Heute gibt es zahlreiche Bauunternehmen nicht mehr, die 2009 bei Ihrem Amtsantritt im Baukollegium noch zu den größten im Lande gehörten. Wie geht es der geschrumpften Bauwirtschaft im Jahr 2015? Der Baumarkt erholt sich seit 2014 – oder zumindest schrumpft er nicht mehr. Beispielsweise haben Tourismustreibende begonnen, wieder zu investieren. Auch die öffentliche Hand investiert wieder mehr Geld in die Straßeninstandhaltung und hat Fördermaßnahmen wie den Kubaturbonus gestartet. Das Problem ist, dass unsere Branche nach wie vor an einem Überangebot leidet. Die Flurbereinigung, die zur Schließung von Baufirmen geführt hat, ist meines Erachtens noch nicht abgeschlossen. Haben sich die Unternehmen verspekuliert? So würde ich das nicht sagen. Vielmehr hat die Politik die Unternehmen in Fehlentscheidungen getrieben. Erstens wur- Wie kann es sein, dass nach zehn Jahren Krise noch immer ein Überangebot herrscht? Das liegt daran, dass die Südtiroler fleißige Menschen sind und viele Bauunter- • Info Die Stabs übergabe Am 21. Mai hält das Kollegium der Bauunternehmer im Unternehmerverband seine Jahreshauptversammlung ab, und zwar im Kolpinghaus von Bozen. Dabei gibt Thomas Außerhofer, seit 2009 Präsident, sein Amt nach zwei Perioden ab. Bereits am Vormittag wählen die Kollegiumsmitglieder den Nachfolger. Im Vorfeld der Jahreshauptversammlung haben die Bezirke im Baukollegium ihre Vertreter für den Direktivrat entsandt. Direktivrat und Präsident bleiben drei Jahre im Amt. nehmer – kleinere wie größere – sich unter großen Entbehrungen über Wasser halten. Das geht so weit, dass auf die Einzahlung von Rentenbeiträgen verzichtet wird. Da tickt möglicherweise eine Zeitbombe. 2009 meinten Sie bei Ihrer Antrittsrede, dass Sie sich darum bemühen würden, den Ruf der Bauwirtschaft zu verbessern und dem Image entgegenzutreten, Umweltzerstörer und „Verbetonierer“ zu sein. Haben Sie das Gefühl, Sie waren erfolgreich? Ich war nicht so erfolgreich, wie ich mir das gewünscht hätte, auch wenn ich feststelle, dass die Bauwirtschaft inzwischen zumindest als bedeutender Arbeitgeber wahrgenommen wird. Die wiederholten Meldungen über den Abbau von Arbeitsplätzen haben ins Bewusstsein gerufen, wie viele Menschen in der Bauwirtschaft ihr Geld verdienen. Gleichzeitig gelten wir leider nach wie Tabaktrafik (inkl. Zeitungen, Lotto, Rubbellose usw.) in Bruneck in sehr guter Lage zu verkaufen. Kaufpreis 750 Tsd. € Anfragen an Hermann Graber, Graber & Partner, Tel. 0474 / 572 900 vor als böse Verbetonierer, obwohl wir eigentlich nur bauen, was an anderer Stelle entschieden wurde. Wir sind das letzte Glied in einer langen Entscheidungskette. öffentliche Verwaltungen natürlich vorbildliche Zahlungszeiten. Im Vergleich zu Tirol hinken sie aber hinterher. Wir müssen beginnen, uns mit den Besten in Europa zu messen. Die Bauwirtschaft wartet auf das angekündigte Landesvergabegesetz. Haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Arbeit am Entwurf verzögert? Braucht gut Ding gut Weil? Ich schicke voraus, dass es sehr positiv ist, dass Südtirol sich ein eigenes Landesvergabegesetz gibt und damit die EU-Richtlinie direkt übernimmt, noch bevor der Staat als Gesetzgeber aktiv wird. Aber „gut Weil“ ist meines Erachtens längst vorbei. Ich frage mich schon, warum das Gesetz anderthalb Jahre nach dem Erlass der EU-Richtlinie immer noch nicht da ist. Im Übrigen habe ich das Gefühl, dass viele Südtiroler Unternehmer da allzu große Hoffnungen in das Landesvergabegesetz legen. In Sachen Brennerbasistunnel wird demnächst der 1,4-Milliarden-Euro-Megaauftrag für das Teilstück Mauls–Brenner ausgeschrieben. Wird Südtirols Bauwirtschaft an diesem Auftrag mitknabbern können? Ganz sicher, aber nicht nur die Bauwirtschaft. Auch andere Sektoren werden mitknabbern, denn die Bauarbeiter müssen zum Beispiel untergebracht und verpf legt werden. Inwiefern? Die EU-Richtlinie ist sehr klar formuliert und stellt sich gegen jeden Protektionismus. Es ist falsch zu glauben, Südtirol könne künftig die Ausschreibungen den heimischen Unternehmen auf den Leib schneidern. Eine Chance sehe ich darin, dass in der EU-Richtlinie das Qualitätsdenken stark ausgeprägt ist – und in Sachen Qualität brauchen wir uns vor niemandem zu verstecken. Eine Chance sehe ich auch darin, Ausschreibungsprozeduren zu entbürokratisieren. Sie warten also bis heute vergeblich auf die schon oft angekündigte Entbürokratisierung? Ich traue mich zu sagen, dass heute am Bau sogar noch mehr Bürokratie zu bewältigen ist als vor sechs Jahren. Und ich will gar nicht der Politik die alleinige Schuld daran geben, denn die moderne Gesellschaft ruft mit ihrem Misstrauen, ihrem Neid und ihrem Kontrollwahn die Bürokratie regelrecht herbei. Eine Entbürokratisierung hat die Regierung Kompatscher ja geschafft: Bei öffentlichen Ausschreibungen muss nur mehr der Wettbewerbssieger alle erforderlichen Unterlagen vorlegen – bisher mussten das alle Teilnehmer tun, was für die Verlierer viel vergebliche Arbeit bedeutete und darüber hinaus zu Ausschlüssen wegen Formfehlern führte. Meines Erachtens bestünde die sinnvollere Entbürokratisierung darin, dass sich die öffentlichen Verwaltungen untereinander die notwendigen Dokumente austauschen, ohne dass die Unternehmer die Dokumente jedes Mal aufs Neue einreichen müssen. Es war noch Ex-Landeshauptmann Luis Durnwalder, der 2008 versprach, das Land werde sich um eine schnellere Auszahlung bei Baufortschritten bemühen? Kommen die Firmen heuer schneller zu ihrem Geld? Nein. Die Auszahlungsprozeduren werden eher komplizierter als einfacher. Im italienischen Vergleich haben Südtirols Im Zuge der Diskussion um die Raumordnungsreform, die Landesrat Richard Theiner schaffen will, signalisieren die Verantwortlichen ständig, wie sorgsam Südtirol mit dem wenigen noch bebaubaren Grund und Boden umgehen müsse. Was sagen Sie dazu? Wenn ich mich in Südtirol umsehe, dann habe ich nicht den Eindruck, dass täglich die Fläche von der Größe eines Fußballfeldes verbaut wird, wie gerne kolportiert wird. Wenn das so wäre, dann würde die Bauwirtschaft nicht in der Krise stecken. Es besteht kein Zweifel, dass sparsam mit dem Grund und Boden umgegangen werden muss. Ich finde es aber schade, dass im Zusammenhang mit dem Bauen immer der Teufel an die Wand gemalt wird. Was wünscht sich die Bauwirtschaft von der Raumordnungsreform? Dass sie kommt. Sonst nichts? Klare Leitlinien, aber innerhalb dieser Leitplanken weniger Detailregeln. Die Politik soll entscheiden, wo gebaut werden darf, und von mir aus auch, wo Wohnzonen, wo Gewerbezonen und wo Schulen entstehen sollen. Auch kann die Politik meines Erachtens Regeln für ein einigermaßen einheitliches Erscheinungsbild in einer Zone festlegen. Die Politik soll sich in die landschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung einmischen, sie darf aber nicht entscheiden, ob jemand irgendwo eine Rampe bauen darf. Die Politik kann entscheiden, dass ein Industriebetrieb in einer Wohnzone nichts zu suchen hat, sie soll aber nicht entscheiden, ob sich dort ein Architekt ansiedeln darf oder ein Geschäft. Überhaupt wäre die Raumordnungsreform eine gute Gelegenheit, Südtirols Wohnbauförderungspolitik zu überdenken – aber das ist eine andere Geschichte. Auch wünschen wir uns, dass weggegangen wird vom Kubaturdenken, hin zum Flächendenken. Was werden Sie am 21. Mai bei der Stabsübergabe im Baukollegium Ihrem Nachfolger mit auf den Weg geben? Ich werde ihm den Wunsch mit auf den Weg geben, dass er sich weiterhin dafür einsetzt, die Bevölkerung für den Wert des Bauens zu sensibilisieren. Interview: Christian Pfeifer ®© Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata