EINFÜHRUNG IN DAS ALTITALIENISCHE (ALTTOSKANISCH) 1 30. November 2009 DER AUSBAU DES FLORENTINISCHEN 2 Im soziokulturellen Kontext DIE (TOSKANISCHEN) KAUFLEUTE ALS FÖRDERER DES VOLGARE 3 12. und 13. Jahrhundert DER LANGE WEG VON DER LATEINISCHEN SCHRIFTLICHKEIT ZUR VOLKSSPRACHLICHEN – DIE SPRACHE DER KAUFLEUTE Die Bücher der Kaufleute In der Toskana nahmen die Kaufleute frühzeitig die Kontoführung in die eigenen Hände, zuvor wurde sie von Notaren ausgeübt Libri di conti Libro del dare Libro del avere Libro memoriale Libro di compere e vendite […] 4 DER LANGE WEG VON DER LATEINISCHEN SCHRIFTLICHKEIT ZUR VOLKSSPRACHLICHEN – DIE SPRACHE DER KAUFLEUTE Das älteste überlieferte Schriftstück aus Florenz = Frammenti di un libro di conti di banchieri fiorentini (1211) 5 FRAMMENTO … (1211) Buonagiu(n)la‘ da-sSomaia‘ die dare lib. Xxiii‘ (e) s.-xviii per livre ve(n)titré + (e) -+ ke-i-p(re)sta(m)mo‘ i die a(n)zi kl. Luglio‘: po(nemmo) ke-die aire; (e) dene pagare‘ i(n) k. agossto‘, se-più-sta(n)do‘, a iiii d.‘ lib. il mese‘ qua(n)to-fosse‘ nostra‘ volo(n)tade‘, € s‘-ei‘ no-pagasse‘, sì-no-p(ro)mise‘ di pagare Buonone‘ f. Farolfi da Duomo‘ p(ro)de‘ (e) kapitale‘ qua(n)t‘-elli-sstessero‘. Tt.‘ […] Abkürzungen: typisch für die Kaufmannssprache d. = denari; f. = figliuolo; k., kl., kal. = calende, calendi = 1. Tag des Monats; l., lib. = libbre, libbra, livre, livra (Pfund); s. = soldi; tt. = testimoni 6 SCHULE IM MITTELALTER Latein und Volgare Latein in den Notarsschulen über das Volgare Die Kaufmannsschulen verzichteten weitgehend auf das Lateinische und griffen auf das Volgare zurück Von den Bürgern oder den Gemeinden finanzierte Privatschulen 7 DER LITERARISCHE AUSBAU 8 Vom Dolce stil nuovo zu den Tre Corone DER DOLCE STIL NUOVO Die Literatursprach e der Toskana 9 DER DOLCE STIL NUOVO « "...Ma dì s'i' veggio qui colui che fore trasse le nove rime, cominciando Donne ch'avete intelletto d'amore." E io a lui: "I'mi son un che, quando Amor mi spira, noto, e a quel modo ch'è ditta dentro vo significando." "O frate, issa vegg'io", diss'elli, "il nodo che 'l Notaro e Guittone e me ritenne di qua dal dolce stil novo ch'i' odo!..." » (Purg. XXIV, vv. 49-57) 10 DER DOLCE STIL NUOVO Der dolce stil nuovo (auch: dolce stil novo) ist eine literarische Bewegung im Italien des 13. und frühen 14. Jahrhunderts. Kennzeichnend für diese Stilrichtung, die im nördlichen Italien (vor allem in Florenz zwischen 1280 und 1310) unter Einfluss der Sizilianischen Dichterschule (scuola siciliana) und der frz. Troubadourdichtung entstand, war die Liebesthematik. Die Liebe wird entsprechend der platonischen Ideenlehre und höfisch-literarischer Anschauungen überhöht und als göttliche Kraft gesehen und mit einem ausgefeilten System von Metaphern und Symbolen beschrieben. 11 DER DOLCE STIL NUOVO Neu ist die Introspektion des Dichters, der die Wirkung weiblicher Schönheit auf seine Seele detailliert beschreibt, dabei aber vor allem Wert auf sprachliche Raffinesse und weniger auf authentische Darstellung des Erlebnisses legt. Für die Beschreibung der Schönheit der angebeteten Frau finden die Dichter des dolce stil nuovo eine Vielzahl von Bildern; die Geliebte erscheint als paradiesisches Wesen, Engel, göttliche Braut und wird so in die Sphäre des Überirdischen gerückt. 12 DER DOLCE STIL NUOVO Als erster bedeutender Vertreter dieses Stils gilt Guido Guinizelli mit dem Gedicht Al cor gentil rempaira sempre amore. 13 DER DOLCE STIL NUOVO Guido Guinizelli Al cor gentil rempaira sempre amore come l’ausello in selva a la verdura; né fe’ amor anti che gentil core, né gentil core anti ch’amor, natura: ch’adesso con’ fu ’l sole, sì tosto lo splendore fu lucente, né fu davanti ’l sole; e prende amore in gentilezza loco così propïamente come calore in clarità di foco. […] 14 DER DOLCE STIL NUOVO Daneben gehören ihm an Cino da Pistoia, Lapo Gianni, Gianni Alfani und Dino Frescobaldi. Seine höchste Blüte erreicht der Stil dann bei Dante Alighieri, der etwa in seiner Vita Nova der Liebe zu seiner Beatrice Ausdruck verleiht. Von Dante stammt auch der Begriff des dolce stil nuovo (vgl. Purg. XXIV, vv. 49-57). 15 DIE SPRACHE DER WISSENSCHAFT 16 Latein vs. Volkssprache DIE SPRACHE DER WISSENSCHAFT Restoro d‘Arezzo, La composizione del mondo con le sue cascioni (1282) (im toskanischen Dialekt von Arezzo verfasst) von Dante rezipiert in seinem lateinischen Traktat Quaestio de Aqua et Terra (ca. 1320) 17 DIE SPRACHE DER WISSENSCHAFT Die Verwendung der Volkssprache in der Wissenschaft oder in der Sachprosa, in Spanien längst eine Selbstverständlichkeit, führt in Italien die Autoren immer wieder zum Rechtfertigungszwang, z.B. bei Dante… 18 DIE RECHTFERTIGUNG DES GEBRAUCHS DER VOLKSSPRACHE… Die Liebesdichtung soll den Frauen verständlich sein… “E lo primo che cominciò a dire sì come poeta volgare, si mosse però che volle fare intendere le sue parole a donna, a la quale era malagevole d'intendere li versi latini. E questo è contra coloro che rimano sopra altra matera che amorosa, con ciò sia cosa che cotale modo di parlare fosse dal principio trovato per dire d'amore. “ (Vita nuova, XXV, 6) 19 ALTFLORENTINISCH / ALTTOSKNISCH – SPRACHE IM WANDEL 20 Ca. 1200-1450 ALT UND NEUITALIENISCH IM VERGLEICH M. Dardano (Manualetto di linguistica, 1996) nennt insgesamt 10 Kriterien (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) Wortbildung (abitanza, continuanza, fidanza…) Verbalmorphologie (Polymorphismus: vedo, veggo, veggio…) Tobler-Mussafia-Gesetz Wortstellung (lo mi dici vs. me lo dici) Aspekte der Konkordanz (cortesia e onestade è tutt‘uno) Weglassungen (z.B. des Artikels: desideri mio nome) Gebrauch der Tempora und Modi (disse che verrebbe) Parahypotaxe Aspekte der Subordinierung (von Sätzen) Aspekte der Textualität 21 ALTFLORENTINISCH – 13./14. JH. Zu den charakteristischen Zügen des archaischen Florentinischen, die es von späteren Phasen abgrenzen, gehört z.B. das Vorherrschen des männlichen Artikels lo gegenüber il. Die Endungen der ersten Person Plural -emo und -imo waren trotz des ersten Auftretens von -iamo noch sehr vital, während -amo frühzeitig durch -emo ersetzt worden war. Auch syntaktische Konstruktionen wie mógliama, casasa etc., die in späteren Jahrhunderten nur südlich der Toskana überlebten, waren noch möglich. 22 ALTFLORENTINISCH 13./14. JH. Die syntaktische Autonomie von il gegenüber lo ist zwar seit 1277 belegt, aber noch bei Dante überwiegt lo. Die Konjugationsendung -iamo ist zwar bereits in den frühesten literarischen Texten anzutreffen, konnte sich aber noch nicht völlig durchsetzen. So verwendet Dante neben -iamo auch häufig noch die Endung -emo (avemo, conoscemo, vivemo, vedemo etc.). Die Passato-remotoEndungen der dritten Person Plural lauteten noch meistens -aro, -ero, -iro gegenüber später normalem -arono, -erono und -irono. 23 ALTFLORENTINISCH 14. JH./15. JH. Der männliche Artikel il hatte sich endgültig gegenüber lo durchgesetzt, dessen Gebrauch nunmehr auf bestimmte Konstellationen beschränkt war (vor Vokal mit Apostrophierung, vor s + Konsonant sowie nach per). 24 ALTFLORENTINISCH 14. JH./15. JH. Die Endung -emo ist von -iamo weitgehend verdrängt worden, aber noch nicht völlig außer Gebrauch (z.B. avemo bei Boccaccio). Die Pronomina lei und lui wurden bereits im Nominativ verwendet, stellten aber noch nicht den Normalfall dar. Die Endung der ersten Person Singular Indikativ Imperfekt lautete noch -a (io aveva, era, amava etc.). Die Passato-remoto-Endungen -aro, -ero, -iro wurden durch -arono, -erono und -irono ersetzt. 25 ALTFLORENTINISCH 15. JH. Zu den markantesten Merkmalen gehören die Ausdehnung von el auf Kosten von il (ohne dieses jedoch völlig zu verdrängen), die Verwendung invariabler Possessivpronomina (Sg. mie, tuo, sua; Pl. mia, tua, sua), die Ersetzung von -ano durch -ono (lavono), die durch Analogie mit dem Präsens entstandene erste Person Singular Imperfekt auf -o (io lavavo statt io lavava), 26 ALTFLORENTINISCH 15. JH. die Ersetzung der Passato-remoto-Endung -arono durch -orono und -orno, die Ersetzung von -iamo durch -iano in der ersten Person Plural (laviano statt laviamo), die Ersetzung von -ero durch -eno im Passato remoto, Konditional und Konjunktiv Imperfekt (disseno, lavasseno, laverebbeno statt dissero, lavassero, lavarebbero) etc. Diese innovativen Formen alternierten je nach Autor mit den älteren. 27 ALTTOSKANISCH 28 Graphie Phonetik/Phonologie Morphosyntax ALTTOSKANISCH - GRAPHIE Alternanz zwischen <k> und <ch> zur Wiedergabe von [k]: ke (= it. che); chuore (= it. cuore), chose (= it. cose), chome (= it. come). Sporadische Verwendung von <k> und <q> zur Wiedergabe von [g]: Kerardi (= it. Gherardi); quadannio (= it. guadagno) [Pistoia 1259]. Die Verbindungen <th> (insbes. in Pisa, Lucca, Pistoia) und <tz> (z.B. in Florenz) dienen zur Wiedergabe von [ts]: vethosa (= it. vezzosa); in Pisa und Lucca repräsentiert <z> häufig stimmhaftes -s- [z]: bizogno (= it. bisogno), uzare (= it. usare). 29 ALTTOSKANISCH – PHONO-GRAPHEMATIK Im Florentinischen haben sich lat. [ĕ] und [ŏ] auch nach [r] zu [jɛ] und [wɔ] entwickelt: priego (= it. prego), pruova (= it. prova), truova (= it. trova) etc.; im Westtoskanischen (z.B. im Bestiario toscano [ca. 1300]) gilt diese Regel nicht: prego, pregano, trova, trovano; im Florentinischen fehlt der Diphthong in der Regel vor Palatallauten: figliolo; im Westtoskanischen hingegen tritt hier meistens die Diphthongierung ein: filliuoli (Bestiario). 30 ALTTOSKANISCH – PHONO-GRAPHEMATIK Der Wandel von vortonischem [ar] zu [er] ist im Florentinischen belegt: loderò; in Siena hingegen entwickelt sich nachtonisches [er] zu [ar]: lat. VIVERE > vìvare (vs. it. vivere). Seit ca. 1250 ist die Synkopierung von averò, doverò, poterò etc. zu avrò, dovrò, potrò etc. zu beobachten. Der Diphthong <ia> wandelt sich zu <ie>: sia > sie, siano > sieno etc. 31 ALTTOSKANISCH – PHONO-GRAPHEMATIK Zahlreiche Wörter zeigen eine Sonorisierung der intervokalischen Verschlusslaute: imperadore (= it. imperatore), armadura (= it. armatura), savere (= it. sapere) etc. Vor [s] + Konsonant wird prosthetisches [i] gesetzt. Bei den Pluralformen der Wörter auf -co und -go treten in der Graphie Schwankungen auf: cuoci (= it. cuochi), cronice (= it. cronache). 32 ALTTOSKANISCH - MORPHOLOGIE Der Plural auf -ora, der in Süditalien wesentlich vitaler ist, findet auch im Toskanischen noch Verwendung: arcora (= it. archi); campora (= it. campi), pratora (= it. prati), luogora (= it. luoghi) etc.; zwischen dem 15. und 16. Jahrhundert wird diese Pluralbildungsmöglichkeit außer Gebrauch kommen. 33 ALTTOSKANISCH - MORPHOSYNTAX Der männliche Artikel lo ist noch dominant, doch auch die Variante il, die zuvor nur bei vorangehendem Vokal möglich war (Gröbersches Gesetz), verselbständigt sich allmählich; im Plural alternieren li, i und gli; in den Dialekten der Westtoskana wird im Singular el und im Pl. e’ verwendet; sporadisch kommen diese Formen auch in Florenz zum Einsatz. Die dritte Person Plural Indikativ der eKonjugation -eno (< lat. -ENT) ist noch vital: cadeno (= it. cadono), conosceno (= it. conoscono), dormeno (= it. dormono), cresceno (= it. crescono) etc. 34 ALTTOSKANISCH - MORPHOSYNTAX Die enklitischen Possessivpronomina -mo, -ma, sa etc. sind noch vital: mógliama (= it. mia moglie), càsasa (= it. la sua casa) [Florenz]; fratelma (= it. mio fratello), cognàtoma (= mio cognato) [Siena]. Die Grenzen zwischen Bei- (Parataxe) und Unterordnung (Hypotaxe) sind noch nicht klar ausgeprägt. 35 ALTTOSKANISCH - SYNTAX Wenn dem Hauptsatz der Nebensatz vorangeht, kann dieser durch e oder sì (= così eingeleitet werden. Zur Bezeichnung dieses Phänomens hat sich der Ausdruck Parahypotaxe eingebürgert: E quando ei pensato alquanto di lei, ed io ritornai a la mia debilitata vita [Dante]; S’io dissi falso, e tu falsasti il conio [Dante] 36 PARAHYPOTAXE (TRECCANI ON-LINE) paraipotassi s. f. [comp. di para(tassi) e ipotassi]. – Procedimento sintattico, largamente diffuso nell’italiano dei primi secoli, in cui l’ipotassi (subordinazione) è modificata da un elemento proprio della paratassi (coordinazione), così che il periodo si costruisce premettendo una prop. secondaria (temporale, condizionale, comparativa, o anche causale), di forma esplicita o di forma implicita, al gerundio o al part. pass., e riprendendo la prop. principale con e (o anche sì, nel senso di così), o altra parola pleonastica (per es., con e: in Dante, Inf. XXX, 115: s’io dissi falso, e tu falsasti il conio; o in Boccaccio, Decameron VIII, 9: E finita la canzone, e ’l maestro disse ...). 37 ALTTOSKANISCH - SYNTAX Die klitischen Pronomina können nicht am Satzoder Versanfang stehen, ebensowenig nach den Konjunktionen e und ma (Tobler-MussafiaGesetz): e dissegli (= it. e gli disse) Im Florentinischen des 13. Jahrhunderts geht das Akkusativobjekt noch häuig dem Dativobjekt voran: lo mi (= it. me lo) 38 AVERE - MORPHOLOGIE (1) Die Form abbo (mit der Variante abo) stammt aus dem Dialekt von Siena. Sie ist normal bei Cecco Angiolieri (z.B. „tant abbo di Becchina novellato“), während Dante sie zur Aufrechterhaltung des Reims einsetzt: gabbo abbo - babbo. Im Sienesischen diente abbo in der ersten Person Singular auch zur Bildung des Futurs: dirabbo (it. dirò), farabbo (it. farò), metterabbo (it. metterò) etc. (vgl. Rohlfs II, § 587). Die Variante aggio (< lat. HABEO) ist auch in süditalienischen Mundarten anzutreffen. 39 AVERE - MORPHOLOGIE (3) Die Konditionalform avrebbeno geht aus einer Kontamination von avrebbero mit und der Präsensendung -eno der Verben der eKonjugation hervor, die in einigen toskanischen Dialekten existierte, z.B. in Lucca (vgl. Rohlfs II, § 532). Sie konkurrierte mit avriano. (4) Die Imperfektform avavate ist offensichtlich unter dem Einfluss der a-Konjugation entstanden (amavate, cantavate etc.). (5) Die Passato-remoto-Form ebbeno stellt wiederum eine Kreuzung aus ebbero (< lat. HABUERUNT) und der regional verbreiteten Präsensendung -eno der e-Konjugation dar. 40 AVERE - MORPHOLOGIE (2) Die erste Person Plural HABEMUS hat sich zunächst regulär zu avemo weiterentwickelt und wurde dann durch die Konjunktivform abbiamo (< HABEAMUS) verdrängt (vgl. Rohlfs II, § 541 und Manni 1994, 327-331). 41 AVERE - MORPHOLOGIE abbo = ho (Dante, Div. Comm., Inf. XXXII, 5) io premerei di mio concetto il suco piú pienamente; ma perch’io non l’abbo, non sanza tema a dicer mi conduco; ché non è impresa da pigliare a gabbo discriver fondo a tutto l’universo, né da lingua che chiami mamma o babbo 42 AVERE - MORPHOLOGIE aggio = ho (Petrarca, Canz. XCVI) Io son de l’aspettar omai sì vinto e de la lunga guerra de‘ sospiri, ch‘ i‘ aggio in odio la speme e i desiri ed ogni laccio ond’è ‘l mio core avinto. 43 AVERE - MORPHOLOGIE avemo = abbiamo (Dante, Div. Comm., Purg. IV, 86; Par. III, 72) Ma se a te piace, volontier saprei quanto avemo ad andar; ché ‘l poggio sale più che salir non posson li occhi miei. Frate, la nostra volontà quieta virtù di carità, che fa volerne sol quel ch’avemo, e d’altro non ci asseta. 44 AVERE - MORPHOLOGIE avrebbeno = avrebbero (Boccaccio, Dec., Giorn. VII, Nov. 7, 46) ... per la qual cosa, come che poi piú volte con Anichino e egli e la donna ridesser di questo fatto, Anichino e la ebbero assai agio di quello per avventura avuto non avrebbeno a far di quello che loro era diletto e piacere ... 45 AVERE - MORPHOLOGIE avrian(o) = avrebbero (Petrarca, Canz. CCCXLVIII) ... da le man, da le braccia che conquiso senza moversi avrian quai più rebelli fur d’Amor mai, da‘ più bei piedi snelli, da la persona fatta in paradiso ... 46 AVERE - MORPHOLOGIE èbben(o) = ebbero (Petrarca, Canz. CXX) Quelle pietose rime in ch’io m’accorsi di vostro ingegno e del cortese affetto, èbben tanto vigor nel mio conspetto che ratto a questa penna la man porsi,... 47 ESSERE - MORPHOLOGIE (1) Die alttoskanische Variante enno ‘sie sind‘ stellt eine Analogiebildung nach dem Vorbild der dritten Person Plural von dare, fare, sapere (danno, fanno, sanno) etc. dar und ist von der dritten Person Singular è abgeleitet. Diese Form hat sich bis in die jüngste Zeit in toskanischen Dialekten erhalten: ènno iti (= it. sono andati), ènno tornati (= it. sono tornati) (vgl. Rohlfs II, § 540). 48 ESSERE - MORPHOLOGIE (2) Aus dem Infinitiv essere hat sich das regelmäßige Partizip essuto mit der aphäretischen Variante suto nach dem Vorbild der it. e-Konjugation entwickelt (Rohlfs II, § 622). (3) Die Paragoge èe statt è wurde in der Regel durch das Reimschema erzwungen. 49 ESSERE - MORPHOLOGIE (4) Das Futur von essere besaß einige zusätzliche Formen, die aus dem Sprachgebrauch verschwunden sind: fia, fie (it. sarà), fiano, fieno (it. saranno). Es handelt sich um Reliktformen des Indikativ und Konjunktiv von lat. FIERI ‘werden’, ‘gemacht werden’, ‘geschehen’ (vgl. Kap. 4.6.5.n, Tab. 87), der Passivform von FACERE ‘machen’ (vgl. auch Rohlfs II, § 592). 50 ESSERE - MORPHOLOGIE (5) Im Konditional verwendete das Altflorentinische in der ersten und dritten Person Singular die Formen fora und saria (it. sarei; it. sarebbe). Die Variante fora (vgl. Rohlfs II, § 602) geht auf das lat. Plusquamperfekt zurück. Das Konditional auf -ia (saria, averia, voria etc.) ist seit dem Beginn der toskanischen Literatur belegt, aber seltener gegenüber den Formen auf ei, -esti, -ebbe etc. (vgl. Rohlfs II, § 594). 51 ESSERE - MORPHOLOGIE enno = sono (Dante, Div. Comm., Inf. V, 38) Intesi ch’a così fatto tormento enno dannati i peccator carnali, che la ragion sommettono al talento 52 ESSERE - MORPHOLOGIE suto, -a = stato, -a (Boccaccio, Dec., Giorn. II, Nov. 6, 55) Quello che tu offeri di voler fare sempre il disiderai, e se io avessi creduto che conceduto mi dovesse esser suto ... 53 ESSERE - MORPHOLOGIE suto, -a = stato, -a (Boccaccio, Dec., Giorn. II, Nov. 6, 55) Quello che tu offeri di voler fare sempre il disiderai, e se io avessi creduto che conceduto mi dovesse esser suto ... 54 ESSERE - MORPHOLOGIE èe = è (Dante, Div. Comm., Inf. XXIV, 90; Purg. XXXII, 10) né tante pestilenzie né sí ree mostrò già mai con tutta l’Etiopia né con ciò che di sopra al Mar Rosso èe. quando per forza mi fu volto il viso ver la sinistra mia da quelle dee, perch’io udi‘ da loro un „Troppo fiso!“; e la disposizion ch’a veder èe ne li occhi pur testé dal sol percossi, sanza la vista alquanto esser mi fée. 55 ESSERE - MORPHOLOGIE fia = sarà (Dante, Div. Comm., Inf. I, 122; V, 135) A le qua ‘ poi se tu vorrai salire, anima fia a ciò piú di me degna: con lei ti lascerò nel mio partire; Quando leggemmo il disiato riso esser baciato da cotanto amante, questi, che mai da me non fia diviso, la bocca mi baciò tutto tremante. 56 ESSERE - MORPHOLOGIE fieno = saranno (Dante, Div. Comm., Purg. XIII, 133) „Li occhi“ diss’io „mi fieno ancor qui tolti, ma picciol tempo, ché poca è l’offesa fatta per esser con invidia volti. [...]“ Troppo sarebbe larga la bigoncia che ricevesse il sangue ferrarese, e stanco chi ‘l pesasse a oncia a oncia, che donerà questo prete cortese per mostrarsi di parte; e cotai doni conformi fieno al viver del paese. 57 ESSERE - MORPHOLOGIE fora = sarebbe (Petrarca, Canz. CCCLXVI) ... e per saperlo pur quel che n’avenne fora avenuto, ch’ogni altra sua voglia era a me morte, ed a lei fama rea. 58 ESSERE - MORPHOLOGIE saria = sarebbe (Boccaccio, Dec., Giorn. X, Nov.7, 21) Forse che non gli saria spiacenza se el sapesse quanta pena i‘ sento, s’a me dato ardimento avesse in fargli mio stato sapere. 59 POTERE - MORPHOLOGIE (1) Die dritte Person Singular Präsens puote leitet sich von lat. POTEST ‘er kann’ her. Sie alternierte in mittelalterlichen Texten mit der heute üblichen apokopierten Form può. 60 POTERE - MORPHOLOGIE (2) Die Form ponno der dritten Person Plural Präsens stellt eine Analogiebildung zum Singular sowie zu Flexionsformen anderer Verben dar, wie z.B. danno, fanno oder stanno. Sie alternierte im Mittelalter mit der diphthongierten Variante puonno. Sie stellt eine Ableitung von der apokopierten Singularform può + -nno dar. Durch Monophthongierung von puonno ist die Form ponno entstanden (vgl. hierzu auch Rohlfs II, § 547). 61 POTERE - MORPHOLOGIE (3) Die Konditionalform poria in der ersten Person Singular stellt eine Variante von potria dar. (4) Formal identisch mit der ersten Person ist die dritte Person. (5) Die Imperfektform potieno stellt eine Variante von potevano dar. Im vorliegenden Fall haben wir die Nachstellung des unbetonten Pronomens mi aufgrund des Tobler-Mussafia-Gesetzes. 62 POTERE - MORPHOLOGIE puote = può (Petrarca, Canz. LXV) Non prego già, né puote aver più loco che mesuratamente il mio cor arda; ma che sua parte abbi costei del foco. 63 POTERE - MORPHOLOGIE ponno = possono (Petrarca, Canz. CCCLX) Poi che suo fui, non ebbi ora tranquilla, né spero aver, e le mie notti il sonno sbandirò, e più non ponno... 64 POTERE - MORPHOLOGIE poria = potrei (Petrarca, Canz. LXXIII) I‘ non poria già mai imaginar, non che narrar, gli effetti che nel mio cor gli occhi soavi fanno; tutti gli altri diletti... 65 POTERE - MORPHOLOGIE poria = potrebbe (Petrarca, Canz. CXCIII) ché quella voce infin al ciel gradita suona in parole sì leggiadre e care, che pensar no ‘l poria chi non l’à udita. 66